Veranstaltung: | Stadtparteitag im Mai 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Grün-Rosa Stadtratsfraktion |
Beschlossen am: | 09.05.2022 |
Eingereicht: | 07.05.2022, 13:01 |
A Dringlichkeitsantrag: Münchner Appell an die Bundesregierung: Die Wohnungskrise in München und anderen großen Städten wirksam bekämpfen: Forderungen für eine soziale Wohnungs- und nachhaltige Bodenpolitik
Beschlusstext
Der Stadtparteitag möge beschließen, den folgenden Münchner Appell an die
Bundesregierung zu unterstützen:
Die Lage der großen und größten Städte Deutschlands wird immer dramatischer. Das
gilt im besonderem Maße auch für München. Dort steigen die Bodenpreise jährlich
um durchschnittlich 12%, seit 2010 auf 330 % des damaligen Preises von 1.200 €
auf ca. 4.000 € pro Quadratmeter Bauland.
Die Immobilien-Neubaupreise haben sich mehr als 2,5-facht, ebenso wie die Preise
für Bestandsimmobilien. Neubau-Eigentumswohnungen sind etwa 2,3 mal so teuer wie
2010, die Erst- und Wiedervermietungs-Mieten haben sich von 12 und 13 €/m. um
durchschnittlich 60 % auf fast 20 bzw. mehr als 21 €/m. erhöht.
Als Amts- und Mandatsträger*innen sind wir täglich auf allen politischen Ebenen
mit der größten sozialen Frage unserer Zeit, nämlich bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen und zu erhalten, konfrontiert. Mehr als in anderen Bereichen ist der
Handlungsspielraum der Kommunen abhängig von der Gesetzgebung des Bundes. Eng
verknüpft mit der Wohnungsfrage ist die Bodenfrage. Dem Bodenpreis folgt die
nicht mehr tragbare Dynamik der Preisspirale bei Immobilien und Mieten. Ihr
wurde aus Sicht der großen Städte zu wenigen Augenmerk in den
Koalitionsverhandlungen gewidmet. Wir meinen: Grund und Boden sind nicht
vermehrbar und daher unter besonderen staatlichen Schutz zu stellen. Eine gut
aufgestellte Bodenpolitik in den Verdichtungsräumen ist der Schlüssel zu mehr
sozialer Gerechtigkeit. Gleichzeitig dient Flächeneffizienz der
Klimagerechtigkeit.
Daher stellen wir als Münchner Amts- und Mandatsträger*innen folgende
Forderungen und bitten unsere Koalitionspartner im Bund um Unterstützung bei
einer raschen Umsetzung:
In Städten mit angespannten Wohnungsmärkten wird:
- als Sofortmaßnahme die Wiederherstellung des kommunalen Vorkaufsrechts in
Erhaltungssatzungsgebieten durch klarstellende Ergänzungen von § 26 BauGB
und § 89,3 BauGB ohne Zeitverzögerung umgesetzt
- im Baugesetzbuch ein gebietsbezogenes und wirksameres Baugebot durch das
neue Instrument der Innenentwicklungsmaßnahme (IEM) sowie die
Unterstützung kommunaler Bodenfonds durch ein erweitertes Vorkaufsrecht
zum sozial gebundenen Ertragswert ermöglicht
- privaten Vermieter*innen von Mehrfamilien-Häusern die Körperschafts- bzw.
Einkommens-Besteuerung der Erträge aus Vermietung auf ein Drittel gesenkt,
wenn und solange die Wohnungen für mindestens zehn Jahre 15% unter
Mietspiegel an Haushalte mit Wohnberechtigungsschein vermietet werden
(„Gemeinwohlwohnen“).
- für private Vermieter*innen von Mehrfamilien-Häusern die
Berechnungsgrundlage der Erbschafts-/Schenkungssteuer auf den Ertragswert
von vereinbarten Mieten - auch unterhalb von 20% unter dem Mietspiegel –
begrenzt. sowie auf einer Berechnungsbasis des Grundstücks von 30%unter
dem Bodenrichtwert reduziert, solange die vereinbarten Mieten nur nach
Verbraucherpreisindex und auf maximal 15 % unter dem Mietspiegel erhöht
werden. Bei Abweichung und bei Verkauf ohne diese Auflagen muss das Delta
zur Regel-Erbschafts-/Schenkungssteuer mit Verzinsung nachgezahlt werden;
Außerdem fordern wir:
- dass qualifizierte Mietspiegel durch die Einbeziehung von Mietverträgen
der letzten 20 Jahre eine breitere Basis der tatsächlichen
Mietmarktentwicklung erhalten und damit die Dynamik der Treiber von
Mietpreiserhöhungen im Neubau und Bestand dämpfen können.
- dass die 10jährige Spekulationsfrist in § 23 Einkommensteuergesetz
abgeschafft wird und damit die Besteuerung privater Immobiliengeschäfte an
die anderer Vermögensgüter angeglichen wird.
- dass die Möglichkeiten eines Bodenpreisdämpfungsgesetzes geprüft werden,
mit dem in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten Bodenpreissteigerungen
(ggf. befristet) auf die Steigerung des Verbraucherpreisindex begrenzt
werden (vgl. Difu-Vorschlag).
- die Unterstützung einer Bundesvorratspolitik der Kommunen für den
geförderten und konzeptionellen bezahlbaren Wohnungsbau durch Übertragung
von bundeseigenen Grundstücken und Immobilien.
Begründung für die Dringlichkeit unseres Appells:
Die Wohnungsfrage war schon immer vor allem eine Bodenfrage. Eine sozial
gerechte und nachhaltige Nutzung des unvermehrbaren Bodens setzt voraus, dass er
der Verwertungsspirale weitgehend entzogen und dem Allgemeinwohl verpflichtet
bleibt. Befeuert durch die Nullzinspolitik hat seit der Weltfinanzkrise der
Ausverkauf von Boden in Stadt und Land Fahrt aufgenommen. Selbst im Corona-Jahr
2020 hielt der Zustrom von Anlagekapital unvermindert an und erreichte ein
Transaktionsvolumen (Wohn- und Gewerbeimmobilien) von fast 80 Mrd. Euro. Die
Baulandpreise haben sich in den Großstädten mit über 500.000 Einwohner*innen von
2009 bis 2019 mehr als verdreifacht und bescheren Finanzinvestoren märchenhafte
Renditen ganz ohne eigene Investitionen. In München entfallen bei Baulandpreisen
von mehr als 4.000 Euro/m² rund 80 Prozent der Kosten einer Wohnung auf das
Grundstück - was zu Neubaumieten jenseits von 20 Euro/m² führt. Selbst mit
Baukostensenkungen im zweistelligen Prozentbereich können hier keine bezahlbaren
Wohnungen mehr entstehen.
Die Wohnungskrise ist nicht zuletzt Teil der bedrohlichen Klimakrise. Vierzig
Prozent der CO2-Belastung in Deutschland resultieren aus Bau, Betrieb und Abriss
von Gebäuden. Schon deshalb muss soziale Wohnungspolitik mit Flächeneffizienz
und Dekarbonisierung einhergehen. Klimagerecht sind vor allem energetisch
ertüchtigte Wohnungen im Bestand. Um den unvermeidlichen Neubau möglichst
klimagerecht zu bewerkstelligen, reichen nachwachsende Baustoffe, Bauteil- bzw.
Materialrecycling und eine CO2-freie Wärmeversorgung nicht aus. Vor allem muss
der weitere Flächenfraß gestoppt werden. Aufstockung und Nachverdichtung
ermöglichen bei gleichzeitigem Ausbau der grünen Infrastruktur eine
klimagerechte Innenentwicklung.
Dafür sind die oben genannten Instrumente und Maßnahmen unverzichtbar und müssen
zeitnah in die Wege geleitet werden.
Begründung
siehe Antragstext