Veranstaltung: | Stadtversammlung am 28.11.2022 |
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Tagesordnungspunkt: | 3 Schwerpunktthema |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Roland Barfus |
Beschlossen am: | 28.11.2022 |
Eingereicht: | 16.01.2023, 15:31 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A Grüne Stadtentwicklung – Hochhäuser und Neubau Bürogebäude
Beschlusstext
Die Münchner GRÜNEN fordern die GRÜN-ROSA Stadtratsfraktion auf, sich im Bündnis
mit der SPD, in den Fachausschüssen, im Stadtratsplenum und insbesondere in den
weiteren Diskussionen des Stadtentwicklungsplanes 2040 (STEP 2040) und der
Hochhausstudie für folgende Punkte einzusetzen:
1.) Die weitere Siedlungsentwicklung in München folgt den Prinzipien und
Leitlinien „GRÜNE STADT DER ZUKUNFT – klimaresiliente Quartiere in einer
wachsenden Stadt“, entsprechend dem gleichnamigen Forschungsprojekt der Partner
LMU, TUM, LHM und IÖW (Institut für ökologische Wirtschaftsforschung), gefördert
durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
(https://www3.ls.tum.de/lapl/gruene-stadt-der-zukunft/publikationen/). Neben
einer Verbesserung und Optimierung der urbanen Grünversorgung soll die
Klimaneutralität und Energieeffizienz essentieller Bestandteil bei allen
Sanierungsmaßnahmen und Neubauten sein.
2.) Der Schwerpunkt für die weitere Stadtentwicklungspolitik wird eindeutig bei
der Schaffung
bezahlbaren Wohnraums gesehen. Neue Ausweisungen von Gewerbegebieten im
Flächennutzungsplan
sollen für mindestens 3 Jahre ausgesetzt werden. Das betrifft auch neue
Baurechtschaffung
für neue Bürohochhäuser auf bestehenden GE-Flächen, wenn juristisch möglich
(Beispiel Hochhaustürme an der Paketposthalle). Die notwendige Ansiedelung von
kleinen Unternehmen/Handwerksbetrieben, insbesondere im Rahmen von Gewerbehöfen,
so wie geringfügige Betriebserweiterungen bestehender Gewerbebetriebe sollen
weiterhin möglich sein.
3.) Die Umstrukturierung und Umnutzung großflächiger Gewerbegebiete – wie z. B.
das Euro-
Industriegelände – zu attraktiven, grünen und urbanen Mischgebieten wird massiv
und aktiv gefördert.
Durch Umbau, Ergänzungen und neuem Nutzungsmix, werden neue Wohnformen in
bisherigen
Gewerbegebieten ermöglicht. Dadurch kann eine ganz neue, wirklich zukunftsfähige
Stadtentwicklung stattfinden mit Ideen, die über das bislang meist
eingeschränkte Denken von heute hinausgehen. Das ist eine lohnende Aufgabe für
Wettbewerbe, insbesondere wenn deren Auslobung endlich neue Wege zulässt und
unterstützt und Preisrichter die Lust zum Aufbruch spüren.
Voraussetzung für eine mögliche Erhöhung des vorhandenen Baurechts ist die
deutliche Steigerung des Grünflächenanteils im Sinne von „GRÜNE STADT DER
ZUKUNFT“, und eine deutliche Steigerung der Flächen- und Energieeffizienz.
4.) Die Umstrukturierung und Umnutzung großer (leerstehender) Gewerbegebäude in
Wohngebäude
oder Mischgebäude mit bezahlbarem Wohnraum – wenn erforderlich ist neues
Baurecht
zu prüfen. Aktuelles Beispiel, seit Jahren in der Diskussion: das Arabella-
Hochhaus in Bogenhausen. Dieses Gebäude bietet sehr viele Möglichkeiten für
einen klimagerechten und innovativen Umbau. Die GRÜNE Stadtratsfraktion wird
aufgefordert sich dafür einzusetzen, dass dieses Privatgebäude erhalten und
innovativ saniert und neu genutzt wird. Ein Abbruch wäre eine riesige
Ressourcen- und Energieverschwendung, die sich unsere Gesellschaft nicht mehr
leisten darf.
5.) Die Münchner GRÜNEN, Partei und Stadtratsfraktion, bemühen sich – trotz des
kürzlich
gescheiterten GRÜNEN Stadtratsantrags auf ein Ratsbegehren – gemeinsam ein gut
begründetes GRÜNES Positionspapier zum Umgang mit neuen Hochhausvorhaben, im
Kontext der in Abstimmung befindlichen Hochhausstudie. Dabei sollen die
Kriterien soziale Auswirkung, Klimaschutz und Ökologie eine entscheidende Rolle
spielen. Ziel ist, eine kritische Auseinandersetzung von GRÜNER Partei und
Stadtgesellschaft mit künftig geplanten Hochhäusern.
Im Zusammenhang mit dem aktuell geplanten Hochhaus-Bürgerbegehren soll eine gute
GRÜNE
Grundlage für die gesellschaftliche Diskussion zur neuen Hochhausstudie erstellt
und veröffentlicht werden.
Die Antragsteller*innen dieses Antrags sind in den parteiinternen
Diskussionsprozess mit einzubeziehen, ebenso einschlägige Expertinnen und
Experten aus Architektur und Stadtplanung.
Begründung
Zu 1.) Die Münchner GRÜNEN, Partei und Stadtratsfraktion, Ortsverbände und BA-Fraktionen haben sich 2017 in einem intensiven monatelangen Diskussionsprozess mit dem Ziel einer nachhaltigen und grünen Stadtentwicklung beschäftigt. Es wurden Architekturbüros beauftragt und entsprechende Aufträge an die Stadtratsfraktion bei einer Stadtversammlung 2017 beschlossen – damals in der Rolle als Opposition!
Nun 5 Jahre später, ein Jahr nach Abschluss des Forschungsprojekts GRÜNE STADT DER ZUKUNFT liegen dessen umfassende Ergebnisse dokumentiert vor, als Schriftenreihe (4 Broschüren und 5 Fact Sheets) und online seit September 2021. Höchste Zeit, die mutmachenden Forschungsergebnisse in praktische Stadtrats- und Planungsarbeit einfließen zu lassen. Leider müssen wir aber feststellen, dass auch bei neuen Wettbewerben zur Siedlungsentwicklung immer noch die Maximierung von Gebäuden und Tiefgaragen wichtigere Kriterien für ideenlose Investoren und Preisrichter sind, als die Bewältigung der unter 1. beschriebenen Herausforderungen.
Zu 2., 3. und 4.) Vor einer weiteren Siedlungsentwicklung muss primär die Frage nach den dringendsten Bedürfnissen der Münchner Stadtgesellschaft gestellt werden. Aus GRÜNER Sicht sind die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum und die Ausstattung mit attraktiven Grün- und Aufenthaltsflächen sowie die Anpassung öffentlicher Räume an den Klimawandel die zentralen Herausforderungen in München – natürlich auch die Bildungsgerechtigkeit und die ausreichende Versorgung mit sozialen Einrichtungen.
Nachdem all diese Bedürfnisse in einer enormen Flächenkonkurrenz mit gewerblichen und industriellen (Leuchtturm-) Projekten stehen, muss die verantwortliche Münchner Stadtpolitik die notwendigen Prioritäten setzen und zukunftsfähige Entscheidungen zu Gunsten der zentralen Herausforderungen fällen.
Zu 2., 4. und 5.) In der bisherigen öffentlich wahrnehmbaren und sehr aktuellen Debatte zur Stadtentwicklung setzen sich sowohl die GRÜNE Stadtratsfraktion als auch der Stadtverband der Münchner GRÜNEN für eine Abschaffung der seit 2004 gültigen Hochhausgrenze von 100 m ein und befürworten – zumindest beim Areal der Paketposthalle – neue markante Hochhäuser von über 150 m Höhe mit der Schaffung von etwa 3.000 neuen (voraussichtlich hochbezahlten) Arbeitsplätzen, mehreren hundert hochpreisigen Wohnungen und einem eher bescheidenen Anteil an - zeitlich begrenzten – sozial geförderten Wohnungen.
Diese wenig nachhaltige Position lässt sich eigentlich nur damit begründen, dass GRÜNE das Thema Hochhäuser primär durch die architektonische und stadtgestalterische Brille diskutieren. Aus dieser Sichtweise heraus mag eine breite Meinungsvielfalt mit der Position „pro Hochhäuser“ verständlich sein, denn insofern ist es einfach Geschmackssache!
Das Ur-GRÜNE Thema Nachhaltigkeit wird in dieser Diskussion jedoch massiv vernachlässigt!
Vier Überlegungen zum Thema Hochhäuser:
- Hochhäuser haben einen ausgesprochen hohen und flächenintensiven Bedarf an sog. „Verkehrsflächen“ (Treppenhäuser, Aufzüge, Flure), Stockwerk für Stockwerk. Hochhäuser sind keine Antwort für die Anforderung flächensparend zu bauen.
- Hochhäuser benötigen einen immens hohen und energieintensiven Materialeinsatz, primär Beton, Stahl und Glas. Nach 40 – 60 Jahren stellt sich regelmäßig die Frage nach Sanierung oder Abriss (und Neubau), in jedem Fall mit immens hohem Aufwand und Materialeinsatz. Insbesondere beim Abriss von Hochhäusern kommt es zu einer unglaublichen Vernichtung von (grauer) Energie und Ressourcen. Aktuelle Paradebeispiele dafür sind das Arabella-Hochhaus in Bogenhausen und das ehemalige Siemens-Hochhaus in Sendling. Hier diskutieren Planer und Investoren bereits seit vielen Jahren geeignete, das heißt auch gewinnbringenden Möglichkeiten zukünftiger Nutzungen.
- Ganz wesentlich ist auch die Tatsache: Hochhäuser sind die teuerste aller möglichen Wohnformen, leisten also keinen substanziellen sozialen Beitrag zur Lösung der Münchner Wohnungsprobleme!
Im Gegenteil:
- hohe Investitionskosten bedingen teure Wohnungen und beschleunigen die Gentrifizierung
- Neue Hochhäuser befördern dadurch die Spirale der Bodenpreisspekulation, z. B. die geplanten Hochhäuser an der Paketposthalle
- Auch für neue Büroarbeitsplätze benötigen wir keine Hochhäuser
Die Büroarbeitswelt hat sich in den letzten Jahren massiv verändert durch moderne Büroraumkonzepte, verstärkte Online-Heimarbeit und die systematische Entwicklung von Co-working-Arbeitsplätzen. Diese Entwicklung hat sich während der Corona-Pandemie noch erheblich verstärkt, vermutlich mit längerfristigen Konsequenzen für den gesamten Münchner Büroflächensektor. Viele Firmen verkleinern sich, auch die Stadtverwaltung will perspektivisch 15 % der Bürofläche einsparen.
Der Büroflächenleerstand steigt, während die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum unablässig zunimmt. Das Beispiel eines Investors an der östlichen Stadtgrenze in bester S-Bahn-Lage (siehe SZ-Artikel „Pläne für Büro-Campus in Dornach gestoppt“ vom 1.10.2022 in der Rubrik Landkreis München) erscheint wie ein Warnsignal für eine ganze Branche.
Gleichzeitig wächst andernorts der Widerstand gegen große Büroraumplanungen (siehe Beispiel Candidplatz in Untergiesing, SZ-Artikel „Es passt einfach nicht zu unserem Stadtviertel“ in der Rubrik München und Region vom 8.10.2022).
Verantwortungsvolle und zukunftsfähige Stadtentwicklungspolitik muss solche Anzeichen und Entwicklungen ernst nehmen und mit geeigneten Maßnahmen korrigierend (gegen)steuern.
Die Hochhauspläne am Paketpostareal konterkarieren jedenfalls die Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele des Münchner Stadtrats. Die Münchner GRÜNEN als Partei der Nachhaltigkeit und des urbanen Klimaschutzes sind deshalb aufgerufen, die Frage nach neuen Bürogebäuden und das Thema Hochhäuser ganzheitlich unter dem Stichwort: nachhaltige, ökologische und soziale Stadtentwicklung zu führen und nicht auf die Frage zu reduzieren „Braucht das moderne München neue Hochhäuser?“.
Diese Diskussion innerhalb der Münchner GRÜNEN ist überfällig und wird – da sind sich die Unterzeichnenden einig – zu einem eindeutigen Ergebnis führen.
Fazit Helmut Steyrer, Architekt, langjähriger GRÜNER Stadtrat, langjähriger Geschäftsführer der städtischen Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS):
Zur Planungshoheit der Landeshauptstadt München beim Paketposthallen-Areal: „Mir reichts mit den Büschl-Türmen! Wo in diesem Verfahren wird erkennbar, dass die Stadt es ist, die die Zügel bei einem solchen Projekt in der Hand hat? Dazu kommt noch der Stadtrat, dem es doch auf den Nägeln brennen müsste, dass in München Investorenplanungen zum Regelfall werden und der eigenständige, gestaltende, durchsetzende Einfluss der Stadt ständig an Boden verliert. Ich erkenne meine Stadt bald nicht mehr wieder.“